barrierefrei·Newsletter | 04.10.2021

Meine Lieblingsplattform: Twitter.

Seit ich selbständig bin, bin ich auch auf den verschiedensten Social Media-Plattformen unterwegs. Aber nirgendwo fühle ich mich so wohl wie auf Twitter. Nirgendwo kommt man schneller in Kontakt, entwickeln sich Diskussionen so rasant und ist der Austausch derart wertvoll, wie dort. Und seitdem Donald Trump nicht mehr twittern darf, ist es sogar noch angenehmer 😉

Am vergangenen Donnerstag entwickelte sich wieder so eine Diskussion, in die ich per Erwähnung hinzugezogen wurde. Es ging um die zentrale Frage, die sich alle Menschen früher oder später stellen, wenn sie sich ein wenig mit barrierefreiem Bauen beschäftigt haben: Warum wird bauliche Barrierefreiheit nicht auch in privaten oder wirtschaftlichen Bereichen etabliert? Was fehlt da zur Umsetzung?

Und weil Twitter ein Kurznachrichtendienst ist, habe ich meine Antwort so kurz wie möglich formuliert. Es folgen daher nun meine

5 Thesen zur fehlenden Umsetzung baulicher Barrierefreiheit

  1. Die gesetzliche Verbindlichkeit greift zu kurz.
    Nur im Neubau, nur x Prozent, nur "barrierefrei nach DIN 18040" und damit nicht uneingeschränkt mit dem Rollstuhl nutzbar. Beim Bauen im Bestand gibt es weder verpflichtende Quoten noch Pflicht zur Einhaltung der DIN (Stichwort Bestandsschutz).
  2. Organisierte Unzuständigkeit zw. Bund und Ländern.
    Bauen ist Ländersache und da variieren die ohnehin geringen Anforderungen auch noch. Wohnen ist Bundessache und da fehlt bisher ein Hebel für die Barrierefreiheit - insbesondere die bedarfsgerechte Zuteilung der Wohnungen.
  3. Unkenntnis (und Unwillen?) von Bauenden UND Planenden.
    Es besteht immer noch die Grundannahme barrierefrei = teuer. Und da Bauen ohnehin teuer ist, wird gespart, wo es am einfachsten erscheint.
  4. Unkenntnis bei Behörden.
    Selbst wenn Barrierefreiheit vorgeschrieben ist, wird es kaum ausreichend geprüft. In Behörden fehlt der bauliche Sachverstand. Oft wird an Behindertenbeauftragte verwiesen, die aber nun mal keine Bauleute sind und gar nicht prüfen können. Also wird nicht geprüft.
  5. Geld. Es fehlt insgesamt immer am Geld (siehe Behördenpersonal).
    Bauträger kann man nur mit Geld ködern, um sie zu mehr als dem Minimum zu bekommen. Es fehlen also Fördermittel, sowohl für gewerbliche (Groß-)Akteure als auch für privat Bauende. Alternative: Standard erhöhen!

Bonusthese: Es fehlt die starke Barrierefreiheits-Lobby

Erfreulicherweise wird das Thema barrierefreies Bauen zunehmend sichtbarer. In diesem Prozess entwickelt es sich aber leider von einem "Bauen für Menschen mit Behinderung" weg. Die Entwicklung zeigt eher dahin, mehr seniorengerecht (also "barrierearm") statt barrierefrei zu bauen. Damit wird nur auf die Interessen der größeren Gruppe (Ältere, "silver ager" etc.) eingegangen. Das wird dann als ausreichend angesehen. Es ist nur leider nicht genug. Und nicht für die, die es wirklich brauchen.

Der Bundesverband Barrierefrei e.V., dem ich seit einem halben Jahr gemeinsam mit Marianne Drößiger vorsitze, soll dieses Thema insgesamt, vor allem aber auch in der Politik verstärkt sichtbar machen. Es bleibt zu hoffen, dass die kommende Legislaturperiode für einen bundesweit wirkenden Barrierefreiheits-Schub sorgt. Wir tun jedenfalls unser Bestes!
Einen klitze-kleinen Veranstaltungstipp schiebe ich noch mit rein: Morgen, am Dienstag von 16 bis 17 Uhr bin ich zu Gast in der digitalen Kaffeeküche von Marjeta Prah-Moses. Im Ambiente eines Barcamps soll es darum gehen, wie "barrierefreier Content den Komfort aller erhöht". Es geht also nicht um Architektur, sondern Inhalte für Social Media und anderswo.

Wenn Du kostenlos dabei sein magst, melde Dich einfach bei mir und ich schicke Dir den Link. Bis morgen!
Hui, das war mal wieder ein etwas längerer Newsletter. Wie stehst Du zu meinen Thesen? Erzähl es mir gern hier per Mail oder drüben auf Twitter bei @HerrSchienbein.
Dein Martin

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