barrierefrei·Newsletter | 08.11.2021

Hast Du auch unerwünschte Angewohnheiten, die vom Berufsleben ins Privatleben ausstrahlen?

Als ich noch im Bereich Schadstoffsanierung und Abfallentsorgung tätig war, konnte ich nicht an Abfallcontainern vorbei gehen, ohne einen prüfenden Blick hineinzuwerfen. Zwei Jahre nach meiner Kündigung lässt das zum Glück nach und ich kann Abfall wieder Abfall sein lassen, ohne mich über falsche Trennung aufregen zu müssen.

Dafür kann ich mittlerweile meine "Barrierefreiheits-Brille" nicht mehr ablegen. Das hilft natürlich ungemein dabei zu erkennen, wo überall Barrieren lauern. Und als Abonnent*in dieses Newsletters weißt Du: sie lauern überall!

Einfach mal entspannt am Sonntag eine Sendung über Architektur zu schauen wird durch diese Brille aber oft unmöglich. So auch gestern. Gemütlich aus dem Bett konnte ich am Traumhausbau eines jungen Paars teilhaben - beide Architekt*innen. Und sie hatten wirklich sehr raffinierende und ästhetische Ideen. Beim Einbau von Gussasphalt im Wohnbereich musste ich ein wenig schlucken, aber das Ergebnis überzeugt.

Noch mehr schlucken musste ich aber bei der vom Bauherren selbst entworfenen und gebauten Treppe: eine elegante Wendeltreppe, zentral angeordneter Blickfang im Erdgeschoss. Doch so schön sie anzusehen ist, so unpraktisch muss sie auch sein. Und das nicht nur aus Sicht der Barrierefreiheit!

Wie soll man etwa sperrige Gegenstände ins Obergeschoss bekommen?
Oder wie soll im Notfall eine Person aus dem OG von Sanitäter*innen raustransportiert werden?

Wendeltreppen sind aufgrund der variierenden Stufentiefe äußerst ungeeignet für sicheres Laufen. Innen zu schmal, außen zu breit für angenehme Schritte.
Ideal sind gerade Treppenläufe. Mit jeder zusätzlichen Biegung kommen Probleme wie bei Wendeltreppen.

Einen Handlauf hatte die Treppe - wie leider häufig bei zeitgenössischer Architektur - ebenfalls nicht. Senkrechte Streben sind für Kinder zwar super zum festhalten, Halt geben sie beim Treppensteigen allerdings nur unzureichend.

Ich kann nur vermuten, dass hier ein gewisser Tunnelblick mit Fokus auf Ästhetik und Design bestand. Dabei fallen Alltagsüberlegungen leider häufig hinten runter.
Schön aber leider oft unnütz.

An dieser Stelle hilft der Blick von außen. Und hier komme ich zurück auf die Barrierefreiheits-Brille: gerade weil ich sie nie absetzen kann, fallen mir Barrieren meist auf den ersten Blick auf.

Deswegen unterstütze ich Architekt*innen genau damit: mein geschulter Blick auf ihre Pläne erkennt Barrieren und schlägt zum Beispiel zusätzlich zur Blickfang-Wendeltreppe eine dezente, abseits gelegene Alternativ-Erschließung für das erste Obergeschoss vor. Barrierefreiheit und Design verbunden, Hand in Hand.
Denk dran, zwischendurch auch mal beim Podcast reinzuschauen. Dort läuft aktuell der No(rm)vember: alles über Normung beim Barrierefreien Bauen kostenlos in einem Monat auf Deine Ohren. Hör in Deinem Lieblings-Podcastplayer rein oder direkt hier: barrierefrei·Podcast.
Dein Martin

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