Johannes und keinwiderspruch

Johannes Mairhofer bezeichnet sich selbst als neugierigen Fotografen und Allrounder. Wir sprachen am 08. Mai 2020 per Videotelefonie über sein Projekt keinwiderspruch, in dem er über zwei Jahre Menschen mit Behinderung in ganz Deutschland portraitierte.


Neugier und Kommunikation

Martin: Ich habe Dich als neugieriger Fotograf und Allrounder angekündigt – so schreibst Du es auch auf Deiner Webseite. Was muss man über Dich wissen, um sagen zu können “Johannes? Den kenn ich.”?

Johannes: Gute Frage. Das ändert sich ja auch dauernd. Weil ich erstens neugierig bin und mich dann schnell ändere oder mir langweilig wird. Im Moment bin ich vor allem Fotograf, das ist ein Thema, das mir sehr wichtig ist. Damit habe ich mich 2010 selbständig gemacht. Aber auch das Thema Wissensweitergabe ist mir wichtig. Ich mache zum Beispiel Workshops zu WordPress oder Smartphone-Fotografie.

M: Also Johannes macht gute Fotos, bringt sie ins Internet und sorgt dafür, das auch ich das kann?

J: Ja genau. Vielleicht kann man es als Kommunikationshelfer bezeichnen.

M: Experte?

J: Experte ist ein schwieriges Wort. Ich bin auch glaube ich kein Experte, sondern eben Allrounder. Ich versuche immer in verschiedenen Bereichen und Bubbles zu sein, um nicht zu verkopft zu werden. Oder auch, um nicht zu sehr in eine Blase einzutauchen, weil man dann nicht mehr so leicht raus kommt.

M: Was sind das dann so für Blasen, in denen Du unterwegs bist?

J: Fotografie natürlich, und WordPress. Um mir viele Freiheiten und freie Projekte leisten zu können, habe ich einen Teilzeitjob in der IT. Das ist auch so eine Bubble. Das habe ich übrigens auch mal gelernt: Fachinformatik. Ich bin auch ein bisschen in der Blase der Menschen mit Behinderung, Kommunikation, Barcamp – alles so was. Mobilität finde ich auch sehr spannend, da bin ich aber im Moment noch an der Oberfläche. Sharing Economy, New Work…

M: Also einmal der Rundumschlag.

J: Ja genau! Alles was mir gerade Spaß macht.

M: Da kommt auch wieder das Neugierige durch. Aber das ist ja auch wichtig.

J: Genau. Ich kenn mich ja jetzt auch schon ein bisschen, ich habe mich damit angefreundet. Aber das ist widerum auch anstrengend, weil ich durch die Neugierde auch schnell die Lust verliere. Also langfristige Projekte, in die man dann auch tiefer einsteigt, das liegt mir nicht immer. Wenn man mal von keinwiderspruch oder speakabled. absieht.

M: Also eher kurz und mit voller Kraft. Und danach wieder das Nächste.

J: Richtig, dadurch bleibt man allerdings bei vielen Themen nur ein bisschen an der Oberfläche. Fotografie mache ich jetzt schon sehr lange, das ist eins der Themen, die mich schon lange begleiten. Dadurch habe ich da eine gewisse Kenntnis, vielleicht sogar eine Expertise, wenn du das so nennen willst.

M: Das sieht man auch an Deiner Arbeit. Du hast ja auf Instagram neuerdings auch einen Auftritt, auf dem man von Dir regelmäßiger etwas zu sehen bekommt.

J: Ja das war die Idee einer Bekannten, die meinte ‘Du musst auch Instagram machen!’ Das hatte ich vor ein paar Jahren schon mal angefangen, dann aber wieder gelöscht. Deswegen ist der Name, den ich auf Twitter nutze, nicht mehr verfügbar. Aber johannes.digital ist auch der kurze Weg zu meiner Website, also passt das ganz gut.

Die Bekannte meinte auch, ich solle nicht dasselbe wie alle machen, also Selfies und Hashtag-Overload. ‘Zeig doch mal Deine Bilder und erzähl ein bisschen was dazu’, sagte sie. Deswegen gibt es jetzt immer drei Bilder aus dem Portfolio und ein bisschen was von der Geschichte dahinter. Das macht mir auch tatsächlich Spaß, weil ich gern über meine Fotos rede und die Bilder natürlich auch gerne zeige.

Behindert und erfolgreich? Kein Widerspruch!

Martin: Und genau dafür bist Du ja auch hier. Wir wollen über Dein Projekt “keinwiderspruch” reden. Du warst über zwei Jahre in Deutschland unterwegs und hast Menschen mit Behinderung portraitiert. Magst Du noch ein wenig mehr erzählen, wie es dazu kam?

Johannes: Wenn man mich kennt und sieht, merkt man, dass ich die Eigenschaft einer sichtbaren Behinderung habe. Eigentlich sehe ich nur auf einem Auge. Frühere habe ich auch links noch etwas gesehen, aber jetzt habe ich dort ein Glasauge. Das hat mich persönlich nie so tangiert. Wenn ich mal ein Interview geben durfte, hieß es aber immer ‘Trotz der Behinderung macht er sich selbständig’ oder ‘Trotz der Behinderung genießt er sein Leben’. Es war immer so ‘Trotz der Behinderung’ macht er etwas, was die “normalen” Menschen auch machen. Mir ist dann aufgefallen, dass Menschen mit Behinderung in Medien immer entweder als Helden gefeiert oder als Leidende dargestellt werden, die ein ganz furchtbares Leben haben. Und ich dachte mir dann immer ‘Mein Leben ist geil, warum wird so ein Scheiß behauptet?’

Ich habe dann ein paar andere kennen gelernt, die das ähnlich sehen. Dann wollte ich einfach mal ein Foto-Projekt machen, das mich ein bisschen fordert und länger begleitet, und das mit der Thematik verbinden. Ich habe also Menschen mit Behinderung gesucht, die geile Sachen machen. Aber eben nicht “trotz” der Behinderung, sondern wegen. Die sich das also zum Vorteil umgedreht haben. 

M: Und dann hast du einfach losgelegt.

J: Genau, ich habe ein paar Leute angesprochen, die das weitererzählt haben. So kamen dann später auch welche auf mich zu und sagten ‘Find ich cool, da will ich auch mitmachen.’ Ich war damals viel unterwegs und konnte viele Bilder dann mit meinem Fotojob verbinden.

M: Aber es sind ja eben nicht nur die Fotos, sondern auch Texte der Portraitierten.

J: Ja, das war der Aufhänger. Die Protagonisten sollten einen Text über sich oder ihr Projekt schreiben, oder wie sie eben denken. Da habe ich auch explizit keine Vorgaben gemacht. Das war echt cool und so sind ganz tolle Texte entstanden, von coolen Leuten. Mit manchen bin ich noch in Kontakt, es wurden Freundschaften draus. Es ist ein Projekt entstanden, das mich über zwei Jahre begleitet hat und mir immer noch wieder begegnet, obwohl es bereits seit vielen Jahren abgeschlossen ist. Die Bilder sind auch immer noch sichtbar. Das war eine gute Idee damals und dass wir jetzt darüber sprechen, zeigt ja die Aktualität nach wie vor.

Das Problem der Darstellung

Martin: Es ist ja auch eine zeitlose Sache, nichts das nur im Moment wichtig ist. Das Problem der Darstellung von Menschen mit Behinderung gab es vorher, das gibt es immer noch und das wird es vermutlich auch noch eine ganze Weile geben. 

Johannes: Die Darstellung ist ein ganz wichtiges Thema. Ich will aufzeigen, dass Menschen mit Behinderung so vielseitig sind wie Menschen ohne. Da habe ich überlegt, zeigt man die Behinderung auch? Eigentlich wollte ich das nicht, es sollte kein “Zirkus” oder ein Zurschaustellen werden. Denn ich will ja die Menschen zeigen. Außer bei ein zwei Bildern, wo die Protagonisten explizit gesagt haben, dass z.B. der Rollstuhl zu ihnen gehört und deswegen sichtbar sein soll, gehe ich in meiner Bildsprache gar nicht auf die Behinderung ein. Manche haben es im Text geschrieben, andere nicht. Und das finde ich das Coole: die Menschen sind im Fokus.

M: Man sieht zunächst ja auch das Foto, bevor man den Text liest. Wenn das Foto also bereits eine Information preisgibt, also dass der Protagonist beispielsweise im Rollstuhl sitzt, liest man auch den Text bereits mit einer anderen Voreinstellung. Wie hast Du das bei den Bildern umgesetzt, dass der Mensch im Fokus ist?

J: Es sind klassische Portraits in einem ähnlichen Ausschnitt. Durch die vergleichbare Darstellung gibt es auch einen Wiedererkennungswert, der für so ein Projekt wichtig ist. Ich wurde in vielen Interviews gefragt, warum der Rollstuhl, der Blindenstock und so weiter nicht im Bild zu sehen sind. Aber genau darum geht es ja: den Menschen zeigen, nicht seine Behinderung oder Hilfsmittel. Außerdem habe ich mir tatsächlich im Vorfeld viele Gedanken gemacht, wie die Bildsprache sein soll und wie ich das in fremden Städten mit Wiedererkennungswert umsetzen kann.

M: Beim Stichwort Darstellung muss ich immer an die Lokalpresse aus meiner Heimat denken. Wenn dort Menschen mit Behinderung gezeigt wurden, was an sich bereits unglaublich selten der Fall war, dann häufig unter dem angesprochenen Motiv eines Leidenden: also zum Beispiel die Rollstuhlfahrerin, die mit traurigem Blick vor einer Treppe steht.

J: Ja, das ist ganz furchtbar! Genau zu dem Thema habe ich für den Newsletter von Raul Krauthausen einen Beitrag geschrieben, der im Juni erscheint. Man kann mit der Bildsprache den Betrachter lenken und deswegen ist es wichtig, die Menschen auf Augenhöhe zu fotografieren. Es gibt zum Beispiel ein ganz schreckliches Bild eines Menschen mit Kleinwuchs: Der Fotograf steht sehr weit weg und im Hintergrund ist ein Sportstadion zu sehen. Dadurch wird der Mensch viel viel kleiner, das ist total bescheuert. Die Leidmedien machen ja auch genau das, also Schulungen, damit Medien angemessen über Menschen mit Behinderung berichten.

M: Es geht ja aber nicht nur um die Darstellung, sondern auch um die Texte der Protagonisten. Wie bist Du vorgegangen, damit der Betrachter sich nicht nur die Fotos anschaut sondern vor allem die Texte liest? Warum sagen die Bilder “Lern mich näher kennen”?

J: Das ist vermutlich so ein Berufsding des Fotografen, man muss die Leute entspannt bekommen. Man muss dazu sagen, dass diejenigen, die bei dem Projekt mitgemacht haben, alle durchaus eine positive Einstellung sich selbst und der Behinderung gegenüber haben. Sonst hätten sie nicht mitgemacht und das macht es für mich auch leichter. Ich habe genau das gemacht, was ich auch Journalisten erzähle: ich bin auf sie eingegangen. Es gab immer ein Vorgespräch und meistens sind wir dabei eine Stunde spazieren gegangen, weil man da besser ins quatschen kommt. Und da haben wir dann eben immer mal angehalten, wenn es eine geeignete Wand, Glas oder dergleichen als Hintergrund für die Fotos gab. Und während des Gesprächs sollten sie eben einfach zwischendurch mal kurz den Mund halten, damit er für das Foto geschlossen ist, oder man macht es gleich gar nicht auffällig. Dadurch werden alle lockerer und das muss ein guter Fotograf einfach hinbekommen.

M: Du bist also auch noch Entspannungscoach?

J: Haha, ja das könnte man so sagen. Da spielt vielleicht auch wieder die Neugierde rein, weil ich schon viel gemacht und kennen gelernt habe. Dadurch bin ich selbst entspannt und das überträgt sich natürlich auch auf die anderen.

Von der Schokoladenseite

Martin: Gab es im Laufe des Projekts auch schwierige Situationen?

Johannes: Es gab eine Interview-Situation mit einer Zeitung, die von einem Shooting ein Making-Of gemacht hat. Da wurde auch ich fotografiert und ich habe ja links die Verwachsung im Gesicht, die ein bisschen auffälliger ist. Deswegen sagte ich zum anderen Fotografen, dass es cool wäre, wenn er mich eher von rechts ablichten könnte. Er sagte nur ‘Ja aber wieso denn? Es geht doch um die Behinderung und dann muss man die auch sehen.’ Aber der hatte es einfach nicht verstanden. Erstens hat jeder eine Schokoladenseite und zweitens geht und ging es eben nicht um die Behinderung.

M: Und damit sind wir wieder beim Thema “trotz”. Trotz seiner Behinderung ist Johannes Fotograf.

J: Genau. Und es ist nun mal so, das sieht man auch zur Zeit wieder, dass sich Leid und Scheiß und Horrornachrichten besser verkaufen, als die guten.

M: Weil du schon Raul Krauthausen erwähnt hast: Im Podcast von Die Neue Norm, bei dem er ein Teil ist, ging es neulich auch um Inspiration Porn. Also dass Menschen mit Behinderung dafür genutzt werden, dass man sich selbst besser fühlt – oder eben, um dieses Gefühl verkaufen zu können. Keinwiderspruch ist somit das genaue Gegenmodell dazu.

J: So kann man es sehen.

M: Hat Dich von den Begegnungen eine besonders bewegt?

J: Das kann und will ich so nicht sagen. Alle waren auf ihre Art und Weise schön und besonders. Aber ich kann eins sagen: Der Text von Lisa war einer, der mit am allermeisten verbreitet wurde. Sie schreibt auf eine sehr persönliche und geile Art, dass der Rollstuhl viel besser für sie war, als zu laufen. Als Kontrast zu vielen Berichten, wo “das laufen das beste und wichtigste Ziel für alle Menschen ist” – siehe z.B. Exo-Skelett. Und sie feiert sehr, dass sie viel mobiler ist und alles viel besser funktioniert, seitdem sie im Rollstuhl sitzt. Jetzt macht sie eben Rollstuhl-Skate-Workshops für Kids. Der wurde dann sogar auf englisch übersetzt, weil er bei den Leuten und den Medien so gut ankam. Seitdem sind sie, ihr Freund David und ich, gute Freunde geworden und stehen in regelmäßigem Kontakt.

Die anderen möchte ich nicht emotional abstufen. Manche Texte sind emotional, manche sind trauriger und manche fröhlicher. Und genau das war auch die Idee: dass die Bilder und Texte so vielfältig sind wie die Leute selber, dass die ganze Bandbreite abgedeckt ist.

M: Diese Bandbreite möchte ich hier auch abdecken. Das Thema des Blogs sind ja Barrieren und wie Menschen damit umgehen. Welche Barrieren behindern Dich im Alltag?

J: Ich empfinde sie als relativ gering. Ich merke es beim Autofahren, bzw. beim Einparken, weil mir das dreidimensionale Sehen fehlt und ich deswegen mehr Platz brauche. Gestern habe ich versucht einen Wein ein zu schenken und das Glas nicht getroffen, sowas passiert einfach manchmal. Das kannst Du ja gern auch mal selbst ausprobieren.

M: Tatsächlich kenn ich das aus eigener Erfahrung. Ich habe zwar keine dauerhafte Behinderung, aber zwei chronische Erkrankungen. Die Myasthenie hat beim Ausbruch mein rechtes Auge in Mitleidenschaft gezogen, das ließ sich nicht mehr nach innen bewegen. Alles links von mir war damit nicht mehr 3D sondern nur noch verschobene Zweidimensionalität. Da habe ich auch mitunter mal daneben gegriffen oder die Entfernung zur Hausecke nicht richtig eingeschätzt.

J: Ich höre interessanterweise von immer mehr Menschen, dass sie zum Teil nur zweidimensional sehen. Das ist also gar nicht so selten. Ich darf deswegen keinen LKW-Führerschein mehr machen, aber da ich das sowieso nicht vorhatte, lässt sich das verschmerzen.

Kommt noch was?

Martin: Eine abschließende Frage habe ich noch: Ist eine Fortsetzung von keinwiderspruch geplant?

Johannes: Nein. Das Projekt war cool, aber es ist abgeschlossen. Meiner Meinung nach ist das auch wichtig und gehört ja per Definition zu einem Projekt: Anfang und Ende. Ich habe aber ein ähnliches Projekt zusammen mit einer Journalistin in Planung. Lustigerweise haben wir uns über keinwiderspruch kennen gelernt, als sie mich für den BR interviewt hat. Wir wollen Kulturschaffende und -protagonisten treffen, die sich mit Diversität und Vielfältigkeit beschäftigen. Egal, ob das durch eigene Erfahrung oder künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema kommt. Ich portraitiere sie fotografisch, meine Projektpartnerin schreibt das Portrait über die Person. Da soll aber explizit kein freies Projekt sein, sondern wir suchen noch einen oder mehrere Sponsoren. Wenn wir genug Geld bekommen, dass wir uns auch fair bezahlt fühlen, dann geht es los mit KULTIVERS.


Ursprünglich wollten Johannes und ich auch über sein Projekt speakabled. sprechen. Um den Rahmen eines einzelnen Gesprächs nicht zu sprengen, haben wir uns entschieden, dies zu einem anderen Zeitpunkt fortzusetzen. Ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass es seit kurzem die Möglichkeit gibt, das Projekt über diesen Paypal-Link zu unterstützen.

Johannes, ich freue mich bereits sehr auf die Fortsetzung unseres Gesprächs!


Wie hat Euch das Interview gefallen? Sind noch Fragen offen geblieben?
Kennt Ihr jemanden oder seid Ihr selbst jemand, der unbedingt hier vorgestellt werden soll?

Schreibt es mir: per E-Mail an kontakt@martin-schienbein.de, auf Twitter oder über Instagram.

Bild: Dennis Weissmantel

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